https://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/sonstige_fachbereiche/umweltmedizin/article/982856/neue-analyse-fordert-dreckige-luft-tote-rauchen.html?sid=982856&sh=1&h=1093931485

Siehe auch (Kommentar am Ende):

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/SW/Smog/Feinstaub?s=&p=1&n=1&nid=116321

Das Mainzer "Max-Planck-Institut für Chemie" (MPIC, 2019) verkündet:

124.000 Tote durch Feinstaub !!!

Läßt das nicht aufhorchen ???

Aussage 1:

»Luftschadstoffe führen zu mehr vorzeitigen Todesfällen als das Rauchen.«

Nach der Vernunft schließt diese Aussage ENTWEDER "Raucher" ausdrücklich aus, kann sich also nur auf "Nichtraucher" beziehen, ODER setzt voraus, dass sich "Luftschadstoffe" und "Tabakrauch" substanziell unterscheiden.

a)
Die (biologische, ungefähre) "Gleichwertigkeit" von Tabakrauch und anderen Abbrandprodukten pflanzlichen Ursprungs (zB Öl bzw. Diesel, Holz) kann wohl nicht nur der Logik nach, sondern auch in tatsächlich gemessener Hinsicht (zB Marco 2016) als gegeben angenommen werden.

Welcher Stoff (bzw. Stoffgruppe) sollte das also sein, der hierfür einen substanziellen Unterschied machen sollte, und das auch noch quasi "zu Lasten" des "allgemeinen" Feinstaubs (üblicherweise wird doch der Tabakrauch mit etlichen tausend bekannten, darunter etlichen krebserregenden Inhaltsstoffen als weitaus "gefährlicher" angesehen)?

b)
Das MPIC hat Raucher, also rund 20% der deutschen Bevölkerung über 15 Jahren (destatis 2017), ganz offensichtlich NICHT herausgerechnet (Bezugsgröße = GESAMTE Bevölkerung in D; Lelieveld 2019, Suppl. Tab. S1: 80,6 Mio; bzw. Tabelle 1: 124.000/0,00154; vgl. destatis 2019).

c)
Für das Rauchen werden – einvernehmlich! – rund 120.000 vorzeitige Todesfälle jährlich zugrundegelegt (zB Tabakatlas 2015).

Schlussfolgerung

Da Raucher definitiv nicht ausgeschlossen wurden, und – falls – sich die hier gemeinten "Schadstoffe" gerade nicht wesentlich unterscheiden, sind genau diese 120.000 vorzeitigen Todesfälle von Rauchern in der hier vorgelegten Berechnung enthalten.

Womit lässt sich dann aber ERNSTHAFT (auf Grundlage der hier vorgelegten Berechnung) begründen, dass andere Ursachen (wie bspw. die Landwirtschaft) für die angegebene "Sterblichkeit" von Nichtrauchern verantwortlich sein könnten? Wie soll das MÖGLICH sein?

Welche Botschaft könnte darüber hinaus vermittelt werden, wenn – indirekt – gesagt wird, dass die quasi "frische Luft" genau so viele (oder gar MEHR) Todesfälle verursacht wie das Rauchen? Konterkariert das – im Ergebnis – nicht ALLE ärztlichen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, das Rauchen einzudämmen? Wie ist das mit allem bekannten Lehrbuchwissen vereinbar?

Aussage 2:

»Ein Mensch könne sich allerdings entscheiden, nicht zu rauchen – der Luftverschmutzung aber könne er nicht ausweichen.«

Wie anders ist diese Aussage zu verstehen, als dass "Nichtraucher" (quantitativ, effektiv) mindestens der gleichen Feinstaubexposition ausgesetzt sind wie Raucher?

Nun wird seit Jahrzehnten der "Cotinin-Spiegel" (Serum, Urin, ggf. Haare) als Maß herangezogen (zB Jarvis 1987), um die "biologisch effektive" (quasi Feinstaub-) Belastung des Rauchens zu quantifizieren: Raucher kommen dabei etwa auf 1.000 µg/l, "Passivraucher" auf etwa 10 µg/l, korrespondierend mit bspw. 500 µg/cbm (Klepeis 2007), und absolute Nichtraucher auf ca. 1 µg/l, entsprechend hier rund 50 µg/cbm.

Es ist inzwischen wohl eine Art Trivialwissen, dass Rauchen gerade im Vergleich zum Nichtrauchen, also quasi zur "lebenslangen Inhalation allgemeinen Feinstaubs" (auf dem hier zu besprechenden Niveau), zu etwa 2-3-fach altersbezogen erhöhter bzw. 10 Jahren vorzeitiger Sterblichkeit führt (zB Carter 2015).

Nach amtlichen Feststellungen (Deutscher Bundestag 2007; auf der Grundlage von DKFZ 2005) liegt die Anzahl der jährlichen "Passivrauchopfer" in Deutschland übrigens bei (mindestens) 3.301 Personen.

Es besteht im übrigen Einigkeit, dass die "biologischen Auswirkungen" (zB "Entzündungsreaktion") maßgeblich sind (Harrison 2019), die aber grds. weit länger (zB im Bereich von 24 Stunden) anhalten, als (bildlich gesprochen) "eine Zigarettenlänge".

Unter diesen Voraussetzungen läßt sich – jedenfalls überschlägig – eine lebenslange "Feinstaubbelastung" abschätzen: 80 Jahre "allgemeiner Feinstaub" bringen es auf ca. 29.000 "Tagesdosen Feinstaub", 40 "Päckchenjahre" allein hingegen auf ca. 14 Millionen "Tagesdosen" (40 Jahre x 365 Tage x 1.000).

Schlussfolgerung

Womit lässt sich also begründen, dass die quantitative (effektive) Feinstaubbelastung von Rauchern und Nichtrauchern auch nur annähernd vergleichbar wäre?

Womit ließe sich andernfalls die doch zweifellos signifikant verringerte Sterblichkeit von Nichtrauchern gegenüber Rauchern unter Berücksichtigung einer "Dosis-Wirkungs-Beziehung" erklären? Wie wäre – toxikologisch – die sich ergebende "J-Kurve" erklärbar, wenn 120.000 Raucher, 3.301 "Passivraucher", nun aber 124.000 Nichtraucher jährlich zu Schaden kämen?

Weitere Aspekte

Abgesehen davon steht wohl auch die hier verwendete Berechnungsmethodik ernsthaft zur Diskussion (Schüller 2019).

Wie sicher kann man darüber hinaus und ohne placebokontrollierte Versuchsreihen – insbesondere am Menschen – feststellen, ob bei vergleichsweise (zum Rauchen) "winziger" Feinstaubbelastung (zB 10, 50 oder 100 µg/cbm) in Wahrheit möglicherweise weniger "besonders empfindliche Personengruppen" betroffen sind (Harrison 2019), sondern (auch?) ein banaler "Noceboeffekt" vorliegt (was natürlich keinesfalls automatisch die Aussage widerlegt, "es gäbe keine untere Wirkschwelle")? Gibt es dazu etwa valide Daten?

Ist nicht – ganz im Gegenteil – richtig, dass bspw. für die Entwicklung einer individuell wie evolutionär wohl nicht ganz unwichtigen "Immuntoleranz" (zB Schujis 2015) eine allzu reizarme Umgebung geradezu nachteilig ist? Womit läßt sich also ausschließen, dass eine "nicht völlig staubfreie" Umwelt nicht auch nützlich sein kann? Wie genau läßt sich bspw. unterscheiden, ob eine "Entzündungsreaktion" (zB "im Reagenzglas") ausschließlich unter dem Aspekt "kardiovaskulärer Folgen", und nicht als (möglicherweise "wertfreie", uU sogar notwendige) Auseinandersetzung mit einem Umwelt(schad)stoff zu interpretieren ist (vgl. ambivalente Interpretationen von Echinazin: "immunstimulierend" vs. "krebserregend")?

Wie lässt sich eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung begründen, wenn einerseits die Luft immer besser wird (Schulz 2019, Abb. 2), andererseits die Anzahl von Opfern dieser Luftverschmutzung immer weiter zu steigen scheint?

Schlussendlich wurde andernorts angegeben, dass die "allgemeine Feinstaubbelastung" in 2014 mit einem durchschnittlichen Verlust an Lebenszeit von 8 Stunden zu beziffern sei (ARD 2019); in welchem Verhältnis stünde aber ein solcher Verlust zu der unwiderlegbaren Tatsache, dass das "mittlere Sterbealter" seit langem jährlich um ca. 3 Monate (destatis 2019), also Jahr für Jahr um rund 2.000 Stunden zunimmt?

MEINE ganz persönliche Meinung:

Wir werden hier GRANDIOS

ZUM NARREN GEHALTEN.

Und NICHTS SONST.


Der Unterzeichner versichert vorsorglich, keinen Interessenkonflikten zu unterliegen.


LITERATUR:
- ARD-plusminus: Sendung vom 20.02.19: Diesel-Debatte geht weiter. https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/ndr/diesel-abgase-100.html (16.03.2019)
- Carter BD, Abnet CC, Feskanich D et al.: Smoking and Mortality — Beyond Established Causes. N Engl J Med 2015. 372:631-640. doi: 0.1056/NEJMsa1407211
- Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens. Gesetzentwurf der Bundesregierung. Drucksache 16/504916. 2007. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/050/1605049.pdf (16.03.2019)
- DKFZ, Stabsstelle Tabakkontrolle: Passivrauchen – ein unterschätztes Gesundheitsrisiko. Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle, Bd. 5. https://www.dkfz.de/de/rauchertelefon/download/Passivrauchen_Band_5_2Auflage.pdf (11.03.2019)
- Harrison RM, Brauer M, Grigg J et al.: Internationale Experten zu Stellungnahme von Lungenärzten. https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details/news/internationale-experten-zu-stellungnahme-von-lungenaerzten/ (10.03.2019)
- Jarvis MJ, Unstall-Pedoe H, Feyerabend C et al.: Comparison of Tests Used to Distinguish Smokers from Nonsmokers. Am J Public Health 1987. 77:1435-1438.
- Klepeis NE, Ott WR, Switzer P: Real-Time Measurement of Outdoor Tobacco Smoke Particles. J Air Waste Manag Assoc 2007. 57:522-534.
- Lelieveld J, Klingmüller K, Pozzer A et al.: Cardiovascular disease burden from ambient air pollution in Europe reassessed using novel hazard ratio functions. European Heart Journal 2019. 0:1-7. doi: 10.1093/eurheartj/ehz135
- Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie: Pressemitteilung: Neubewertung der Gesundheitsrisiken durch Luftschadstoffe ergibt unerwartet hohes Sterblichkeitsrisiko speziell durch Herzkreislauferkrankungen. https://www.mpic.de/aktuelles/pressemeldungen/news/luftverschmutzung-verkuerzt-das-leben-der-europaeer-rund-zwei-jahre.html (18.03.2019)
- Marco CD, Ruprecht AA, Pozzi P et al.: Particulate matters from diesel heavy duty trucks exhaust versus cigarettes emissions: a new educational antismoking instrument. Multidisciplinary Respiratory Medicine 2016. 11:2-6. doi: 10.1186/s40248-016-0042-7
- Pötschke-Langer M, Kahnert S, Schaller K et al.: Tabakatlas Deutschland. https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/sonstVeroeffentlichungen/Tabakatlas-2015-final-web-dp-small.pdf (15.03.2019)
- Schüller K: Berichterstattung in der Tagesschau über den Zusammenhang von Feinstaub und vorzeitigen Todesfällen. http://www.rwi-essen.de/unstatistik/87/ (11.03.2019)
- Schuijs MJ, Willart MA, Vergote K, et al.: Farm dust and endotoxin protect against allergy through A20 induction in lung epithelial cells. Science 2015. 349:1106-1110. doi: 10.1126/science.aac6623
- Schulz H, Karrasch S, Bölke G et al.: Atmen - Luftschadstoffe und Gesundheit. Positionspapier der DGP. https://pneumologie.de/fileadmin/user_upload/Aktuelles/DGP_Luftschadstoffe_Positionspapier_20190227-komprimiert.pdf (14.03.2019)
- Statistisches Bundesamt (Destatis): Bevölkerungsstand. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2019/01/PD19_029_12411.html (20.02.2019)
- Statistisches Bundesamt: Rauchgewohnheiten nach Altersgruppen und Geschlecht: Ergebnisse des Mikrozensus 2017. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/GesundheitszustandRelevantesVerhalten/Tabellen/Rauchverhalten.html (14.03.2019)
- Statistisches Bundesamt: Durchschnittliches Sterbealter: Deutschland, Jahre, Geschlecht. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/12613-0007 (11.03.2019)