Letter to the editor / Leserbrief zu:

M. Pötschke-Langer: „Passivrauchen: Sechs Jahre Nichtraucherschutzgesetze in Deutschland und ihre Folgen“; Radiologe 2014, 54:156–157 (Ergänzt)

 

Wo bleibt die Erfolgskontrolle?

In dem Artikel wird eine bestimmte Anzahl von „Passivrauchopfern” angegeben: „Nach Analysen aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum sterben jährlich 3300 Menschen an den Folgen des Passivrauchens in Deutschland". Was besagt es jedoch, dass hier exakt die gleiche Zahl wie 2005 genannt wird (2)?

Wie anders als mit einem - über jeden Zweifel erhabenen - zählbaren Rückgang könnte man den angemahnten „Überschuss des Wollens über das Wissen" (3) widerlegen? Spricht der weltweit ausbleibende Erfolg (allein bezogen auf die „Nichtraucher“) aber nicht gerade gegen die Hypothesen der Tabakkontrolle?

Auch ein Blick in das (seit 2008 praktisch leere) Publikationsverzeichnis des einzigen „Kollaborationszentrums" der WHO (4) führt nicht weiter; somit wurde möglicherweise nicht einmal der Versuch unternommen, den nicht unerheblichen Aufwand wenigstens nachträglich zu rechtfertigen.

Die Aussage, „Nichtraucherschutz wirkt, wenn er ohne Ausnahmen besteht”, wirkt hingegen - mit Verlaub - hilflos: das ganze Ausmaß eines ggfls. ausgebliebenen Erfolges kann wohl kaum auf wenige Ausnahmen geschoben werden.


Das „Interview“ wirft indes noch weitere Fragen auf:

1. „Aber Untersuchungen in Schottland und Irland kamen zu dem Ergebnis eines deutlichen Rückgangs von Atemwegssymptomen und Befindlichkeitsstörungen nach Einführung der rauchfreien Gastronomie bei Beschäftigten.”

Wie ist dies mit der Tatsache vereinbar, dass es gerade nicht um „Belästigung“, sondern ausschließlich um „Gesundheitsgefährdung mit Todesfolge“ (2) gehen darf?

2. „Für den statistischen Nachweis eines Rückgangs von Bronchialkarzinomen und klinisch relevanten arteriellen Gefäßveränderungen ist der Zeitraum seit Erlass der Nichtraucherschutzgesetze in Deutschland zu kurz. Bekanntlich beträgt die Latenzzeit für durch Rauchen induzierte Lungenkarzinome mehr als 15 Jahre.”

Wäre hingegen nicht nach den eigenen - früheren - Aussagen bei über 90% aller Fälle (CVD, COPD, SID) ein „Soforteffekt“ zu erwarten?

Ganz und gar nicht plausibel erscheint eine zeitliche Latenz für SID (plötzlicher Kindstod, n=60), da dieser ausschließlich das 1. Lebensjahr betrifft (2); abgesehen davon lässt sich in den letzten 6 Jahren auch keine Trendänderung erkennen (5).

Es bleibt zudem unverständlich, weshalb gerade die Entstehung kardiovaskulärer Todesfälle (CVD), zusammen ca. 86% (Herzinfarkt, n=2.150, und Schlaganfall, n=770), im Jahr 2005 gerade nicht mit langfristigen „Gefäßveränderungen“, sondern ganz im Gegenteil hauptsächlich mit akuten Effekten begründet wurde: „Insbesondere schnell eintretende Veränderungen wie die Bildung von Thromben, endotheliale Dysfunktion und Entzündungsprozesse, die zu akuten kardiovaskulären Ereignisssen führen können, sind dabei von zentraler Bedeutung“ (2).

Ähnlich auch für COPD („chronisch“ obstruktive Lungenerkrankungen; n=65): „Experimentell ist der Zusammenhang zwischen Passivrauchen und akuten Irritationen der unteren Atemwege durch eine Vielzahl von Studien belegt“.

Für kardiovaskuläre Erkrankungen - und das kann der Tabakkontrolle nicht unbekannt sein - liegen inzwischen sehr wohl mehrere Studien vor (bspw. 6,7), die auch durchaus einen Rückgang beschreiben. Allerdings bleibt u.a. ausdrücklich ungewiss, welchen Anteil bspw. der jeweilige Rückgang aktiven Rauchens daran hat; somit kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der Effekt bspw. allein auf dem Rückgang aktiven Rauchens beruht.

3. „es ist seit mehreren Jahrzehnten bekannt, dass (...) bei Rauchern (…) Kalkeinlagerungen in die Arterien nachweislich 15 Jahre früher auftreten (1).“

Wie ist zu erklären, dass der hier einzig erwähnte Literaturnachweis a) über 25 Jahre alt ist, und sich b) ausdrücklich auf „aktives“ Rauchen bezieht, wo doch das Thema des 2014 erschienenen Interviews „6 Jahre Nichtraucherschutz” lautet?

Erschließt sich daraus nicht recht deutlich, gerade wegen fehlenden Hinweisen auf relevante Untersuchungen, dass sich Rauchverbote entgegen ggfls. vorgeschobenen Argumenten sehr wohl, jedoch ganz und gar unerlaubt primär gegen Raucher (vgl. Motorradfahrer) richten?

4. „Nach neuesten Umfragen im Jahr 2013 sprechen sich rund 82% der Bevölkerung für eine rauchfreie Gastronomie aus und selbst die Mehrheit der Raucher stimmt dem zu.“

Es ist ernsthaft zu fragen, wie es sich denn mit der „Zustimmung” nicht nur von Rauchern verhielte, wenn bekannt würde, dass es keinerlei Nutzen gibt (zu geben scheint). Ob sie sich dann noch „gern” auch bei Kälte und Nässe vor die Türe jagen, oder in Fernreisezügen stillhalten lassen?

Außerdem scheint eine Minderheit (bspw. 18%), also mehr als bspw. die in Deutschland lebenden Muslime (denen man - völlig zu Recht - Moscheen zubilligt) eben nicht ganz damit einverstanden zu sein.


Zur Klarstellung:

Rauchen ist für Raucher riskant, subjektiv aber auch nützlich (wie so vieles im Leben, seit der „Erfindung“ des Feuers). Am Beweis einer relevanten, geschweige denn realen Gefahr für Nichtraucher, zumindest jedoch einer Wirksamkeit von globalen Rauchverboten für den angegebenen Zweck erheben sich aber die genannten Zweifel.

Darüber hinaus widerlegt die Einhaltung der Rauchverbote in der Tat den Archetypus des „rücksichtslosen“ Rauchers, genau so wie wahrhafte „Sucht“; jenseits in den Mund gelegter Lippenbekenntnisse, die lediglich sinnlose Diskussionen verkürzen: seit wann halten sich „Süchtige“ an Gesetze?

======= EXKURS ===========

Soweit es aber um die (medizinisch sinnvolle) „Einhegung“ (3) aktiven Rauchens geht, gibt es - jenseits rechtsstaatlich fragwürdiger Anwendung von Zwang - durchaus nachahmenswerte Vorbilder. Die recht erfolgreiche AIDS-Kampagne zeichnet sich bspw. aus durch:

a) Absolute Wertschätzung aller Mitbürger, strikte Unterlassung jeglicher Diskreditierung.

b) Konzentration auf zielführende Maßnahmen (hier: Kondome statt - sinnloser - Verbote von Promiskuität oder Homosexualität; vgl. räumliche Trennung, bspw. Raucherlokale, letzter Waggon von Fernreisezügen, sinnvolle Entlüftung).

Der Eindruck mag täuschen, aber könnte nicht die wesentlich veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung homosexueller Lebensweisen auch ein Nebeneffekt der absolut wertfrei geführten AIDS-Kampagne sein?

A propos AIDS:
Wäre es nicht sinnvoll, ein jeder bliebe bei seiner Kernkompetenz: Präventivmediziner überließen die Behandlung von Krankheiten den Profis.

Wären nicht SYMPATHIE-Punkte wesentlich hilfreicher, bspw. ansprechende Bilder von rauchfreien Lokalen, oder Aufdrucke wie „rauchfrei ist schöner“, „Machen Sie sich und Ihren Kindern einen schönen Tag, auch mal ohne…“? Aber den Menschen die Wahl lassen?

Kann man sich wirklich vorstellen, die AIDS-Kampagne hätte Erfolg haben können, wenn man Ekelbilder von Kaposi-Sarkomen (=> Google Bildersuche!) oder Analfisteln (DAS ist wirklich ekelhaft, da muss man nichts „schwarz färben“), oder „AIDS tötet Sie und Ihre Sexualpartner“ in dicken schwarzen Lettern auf Kondompackungen gedruckt hätte?

Wenn man den Menschen gesagt hätte: setz dich bloß nicht neben den, der ist schwul, schwul ist IGITT, und AIDS ist ansteckend?

Wenn man alle Schwulentreffs rigoros geschlossen hätte?

Erreicht man so die Zielgruppe?

Weshalb hat die Anerkennung von Homosexuellen ZUGENOMMEN, TROTZ AIDS?

======= EXKURS Ende ===========

Der Unterzeichner ist als Arzt - auch im Privaten - an „nil nocere“ gebunden, leidenschaftlicher Pfeifenraucher, und weist rein vorsorglich jedwede Verbindung zur Tabakindustrie von sich. Er versichert der Autorin (unbenommen unterschiedlicher Ansichten) seine ausdrückliche - menschliche wie kollegiale - Wertschätzung und erwartet solche gleichermaßen.


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Literatur:

(1) M. Pötschke-Langer: „Passivrauchen: Sechs Jahre Nichtraucherschutzgesetze in Deutschland und ihre Folgen“; Radiologe 2014, 54:156–157

(2) Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Band 5: „Passivrauchen – ein unterschätztes Gesundheitsrisiko“; Deutsches Krebsforschungszentrum, 2005

(3) Singer et al.: „Alkohol und Tabak: Grundlagen und Folgeerkrankungen“; Thieme Verlag 2010, Seite 23 (Hervorhebungen vom Unterzeichner):

„Eine „tabakfreie Welt“ wird es freilich nicht geben. Eine seit einem halben Jahrtausend in der Pharmakologie des Alltags verankerte Substanz lässt sich nicht abschaffen, sondern lediglich einhegen.

Der utopische Impetus, die „Verquickung von Wissenschaft, Moral und Politik“ im heutigen Diskurs (Frenk u. Dar 2000), kennzeichnete auch die vergangenen „Thematisierungskonjunkturen“, bei denen moralische Maximen sowohl die Akteure antrieben als auch eingesetzt wurden, um – legitimiert durch Gesetze – die soziale Akzeptanz des Rauchens und Trinkens zu verringern. Es kam zu einer Überdehnung der Argumente, der Sprache und der Mittel, was eine Lawine nichtintendierter Effekte auslöste. Dies lässt auch die derzeitigen Erfolge im „Krieg“ gegen den Tabak als im Innersten fragil erscheinen– langfristig könnte also ein herber Rückschlag drohen.

Die historische Forschung belegt, wie riskant eine solche Überdehnung für eine nachhaltige Konsumsteuerung ist: Das somatische Suchtmodell hat viel zur Stigmatisierung und damit zum Rückgang des Rauchens beigetragen, indem es die funktionalen und sozialen Aspekte des Tabakkonsums ausblendet; die perspektivische Verengung führte indes zu unrealistischen Erwartungen an die Tabakkontrollpolitik, die irgendwann in Ernüchterung umschlagen werden.

Riskant wird ein Überschuss des Wollens über das Wissen auch dann, wenn sich die Politik von Daten abhängig macht (etwa über das Passivrauchen oder die gesamtgesellschaftlichen Kosten des Rauchens), die – trotz gegenteiliger offizieller Bekundungen – in der heutigen Forschung stark umstritten sind und morgen wohlmöglich als obsolet gelten, sei es aufgrund innerwissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Entwicklungen. Dies setzt die Legitimität der gesamten Forschung aufs Spiel und damit einer als wertfrei deklarierten Kontrollpolitik, die das Rauchen nicht mehr als Sünde oder als Belästigung bekämpft, sondern sich auf objektivierte Sachzwänge beruft. Geraten nur einige davon ins Wanken, können Restriktionen, die derzeit noch mehrheitlich begrüßt werden, als Paternalismus empfunden werden und wieder eine Resistenzhaltung provozieren, die sich der tradierten Symbolik des Tabaks als Zeichen gegen Bevormundung bedient. (...)“

(4) www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Passivrauchen_und_gesundheitliche_Folgen.html; Zugriff am 11.09.2015

(5) www.gbe-bund.de, ICD R95; Zugriff am 11.09.2015

(6) Sargent et al.: „Smoking restrictions and hospitalization for acute coronary events in Germany“; Clin Res Cardiol 2012, 101:227–235;
In deutscher Übersetzung verfügbar (www.dak.de/dak/download/Studie_Nichtraucherschutzgesetze_in_Deutschland-1319444.pdf)

(7) C. E. Tan und S. A. Glantz: „Association Between Smoke-Free Legislation and Hospitalizations for Cardiac, Cerebrovascular, and Respiratory Diseases - A Meta-Analysis“; Circulation 2012, 126:2177-2183


Dr. Andreas Schnitzler

Deutsch Evern, im September 2015

 


Letzte Aktualisierung: 2015-09-14